Rede zur Eröffnung der Ausbildung zum Sozialkünstler - von Sandra Schürmann

Liebe Gäste, liebe Freunde der Projektfabrik,

ich freue mich außerordentlich, dass ich Sie heute zu diesem besonderen Ereignis begrüßen darf und Sie so zahlreich erschienen sind. Die Projektfabrik hat schon viele besondere Momente in ihrer Geschichte erlebt und es ist mir ein außerordentliches Vergnügen, Ihnen heute einen weiteren vorstellen zu dürfen.

Wie viele von Ihnen wissen, haben wir uns in den letzten acht Jahren damit beschäftigt, bundesweit eine neue Form der beruflichen Qualifizierung zu etablieren, in der die Persönlichkeitsentwicklung im Zentrum steht.

Das Projekt JobAct® ist unsere Antwort auf die Frage: Was brauchen Menschen, um ihr Leben sinnvoll zu gestalten? In erster Linie behaupten wir, dass ein Mensch ein Selbstbild braucht, eine ziemlich klare Idee, wofür er oder sie sich einsetzen will.

Jeder von Ihnen kennt das Gefühl und den Unterschied, wenn man etwas tut, was man wirklich will und womit man sich identifiziert und das Gefühl, wenn man etwas tut, was man tun muss, aus Pflicht.

Wenn ich etwas tue, was ich wirklich will, ist das wie ein Motor, eine innere Energie, die mich antreibt. Um aber zu wissen, was ich will, brauche ich ein deutliches und klares Selbstbild.

Wir setzen uns dafür ein, dass Bildung neben dem wichtigen Fachwissen dieses Bewusstsein im Menschen entwickeln sollte. Das Bewusstsein „wer bin ich“ und „was will ich“ ist die Basis, auf der ich mein ganzes Leben gestalten kann. Der Motor, der mich antreibt das Ziel zu erreichen, gibt mir den Ehrgeiz, entsprechendes Fachwissen zu erlernen, mit Freude und Hoffnung, weil ich weiß wozu!

Aber wie entwickelt man ein vertieftes Bewusstsein von dem, was ich will und wer ich bin. Wir glauben, dass die künstlerische Bildung den Menschen ganzheitlich anspricht und daher dieses Bild in einer sehr deutlichen Form zustande kommt. In der Theaterarbeit erlebt man sich auf drei Ebenen:

  • Man braucht seinen Körper, um sich auszudrücken, mit Sprache, Gestik und Bewegung und lernt ihn in der Wiederholung kennen.
  • Man vertieft sich ins Soziale. Nur im Miteinander entsteht das Stück, im Austausch mit den Mitspielern, aber auch in Verbindung und in Reaktion mit den Zuschauern.
  • Und man trifft die Welt der Ideen, lernt sie kennen, schätzen und entwickelt Mut, diese in die Tat umzusetzen.

Wenn wir den Begriff Bildung ernst nehmen, dann soll neben dem „Gebildetsein“ im Sinne von etwas wissen, auch ein Bild von sich selbst entwickelt werden.

Diese Selbst-Bildung erreichen wir mit dem Theater! Wir sprechen gleichermaßen den Menschen mit Kopf, Herz und Hand an oder wir können auch sagen mit Körper, Seele und Geist.

Die heutige Gesellschaft akzeptiert die Selbstverwirklichung und niemand hier würde wohl sagen, dass nicht jeder ein Recht darauf hat, sich zu verwirklichen. Was aber, wenn unsere Bildung dieses Selbst als Bild nicht entwickelt. In welche Richtung soll ich mich dann verwirklichen?

Damit kommen wir zu der spannenden Frage: Liegt z. B. die Jugendarbeitslosigkeit daran, dass die Menschen nicht genug wissen, also schlechte Noten und keinen oder einen schlechten Schulabschluss haben oder liegt es vielleicht daran, dass sie gar kein Bild von sich haben und nicht wissen, wofür sie lernen sollen?

Ich möchte behaupten, dass der Mensch heute immer weniger in der Lage ist, etwas aus reiner Pflichterfüllung zu tun. Ergriffen im letzten Jahrhundert noch viele Menschen Berufe, die ihre Eltern für sie vorsahen, können wir uns das heute doch kaum noch vorstellen. Und ich möchte behaupten, dass viele psychische Erkrankungen mit der Orientierungslosigkeit zu tun haben. Depressionen als Folge von Sinnsuche ohne greifbare Erfüllung!

Das führte uns zur Entwicklung des Projektes JobAct®, ein Projekt, in dem wir uns die Zeit nehmen, in einer intensiven Theaterphase nicht auf die fachlichen Defizite eines Menschen zu schauen, sondern eine Vision von sich zu entwickeln. Eine so starke Vision, dass man die Defizite fast vergisst bzw. die Kraft erhält, diese zu meistern.

Nach acht Jahren konnten wir in einer Langzeitstudie nachweisen, dass unser Ansatz nachhaltigen Erfolg bringt. Vielleicht erreichen die Menschen noch nicht unmittelbar nach dem Projekt den richtigen Ausbildungsjob oder die passende Arbeitsstelle, da aber das Bild in sich entstehen konnte, verfolgen sie ihr Ziel, verlieren es nicht mehr aus den Augen und drei Jahre nach Beendigung des Projektes erreicht JobAct® nachweislich eine Vermittlung von 70 % derer, die das Projekt bis zum Ende durchliefen.

Das war immer unsere Behauptung und wir sind stolz darauf, dass wir diese bestätigen konnten!

Mit dem heutigen Tag und aus dem gleichen Menschenbild heraus, präsentieren wir Ihnen die konsequente Weiterentwicklung unseres Bildungsansatzes auf ein neues Berufsbild: dem Sozialkünstler JobAct®!
In unserer Arbeit stellten wir fest, dass viele der Teilnehmenden sich enorm entwickelten und große Erkenntnisschritte machten. Das Bild, was in ihnen für die Zukunft entstand, entsprach aber nicht den Angeboten auf dem Arbeitsmarkt.
Es sind Menschen, die kreative Fähigkeiten haben, die sensibel für ihre Umwelt sind und vor allem, die sich bewusst dem Meistern ihrer Krisen stellen. Es sind aber auch Menschen, die sich durch ihre, nennen wir sie mal feinsinnigen Fähigkeiten, nur schwer in rein fachliche Strukturen einfügen können. Ihre Sinne verkümmern sozusagen.

Unser heutiges Sozial- und Gesundheitswesen hat sich aber so weit professionalisiert, dass kaum noch eine Tätigkeit ausgeübt werden kann ohne fachlichen Hintergrund und ohne effiziente Struktur.

Niemand hier sagt etwas gegen fachliche Professionalität. Niemand will diese „Errungenschaft“ abschaffen. Aber wir wollen sie ergänzen.

Und das aus zwei Perspektiven: Einmal aus der Perspektive der zukünftigen Sozialkünstler. Wir wollen für Menschen, die vordergründig nicht mithalten können, hauptsächlich aber wertvolle Fähigkeiten haben, ein Arbeitsfeld schaffen, in dem sie einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten können. Damit sie nicht ausgeschlossen sind, nicht zurückbleiben. Und damit sie ihre Kompetenzen zum Wohle aller einsetzen können.

Die andere Perspektive ist die der „hilfebedürftigen Menschen“. Immer mehr fehlt im Sozial- und Gesundheitssektor die menschliche Ebene. Keine Stelle ohne professionelles Selbstbild. Überall Fachpersonal und Sie kennen es alle und wir schätzen es auch – professionelle Distanz!

Ich selbst bin Sozialarbeiterin von Beruf und weiß sehr wohl, wie die Ausbildung und Qualifizierung dazu läuft. Es ist unabdingbar, dass ich etwas brauche, um mich zu distanzieren, sonst kann ich den Job auf Dauer nicht machen und brenne aus.

Schöpfe ich diese Distanz aber aus der Fachlichkeit, laufe ich Gefahr, die menschliche Komponente zu verlieren. Wir wissen alle, wie wichtig die Beziehung für Heilung und Hilfe ist. Wir wissen aber auch, dass wir sehr aufpassen müssen, uns nicht in der Arbeit zu verlieren und aufzulösen.

Hier haben wir die Kunst als Lösung – und im Grunde eine Lösung für alle sozialen Berufe. Die Kunst gibt mir immer eine professionelle Distanz, immer einen Schutzraum. Gleichzeitig muss ich mich mit meiner ganzen Person reinstellen. Ich trete in Beziehung und gebe mich der Rolle voll hin.

Sie kennen alle das Bild eines Schauspielers, der in die unglaublichsten Rollen schlüpfen kann. Er wird jemand anderes und um das zu werden, muss er sich voll hingeben. Begegnet er nun den anderen Figuren auf der Bühne, steht er da als volle Person, aber geschützt durch die Rolle. Eine Szene auf der Bühne funktioniert nicht ohne das Miteinander. Ist der andere nicht gut, muss ich so spielen, dass er gut wird. Es ist ein genaues Austarieren, ein genaues Einstellen auf die Fähigkeiten des anderen. Dazu muss ich mein Spiel ins Verhältnis setzen. Und das Ganze nicht meinetwillen, sondern weil die Szene sonst nicht funktioniert und das Publikum nicht mitgenommen wird.

Ich möchte das einen Wesensbezug nennen, der spielerisch in der Rolle hergestellt wird und der der Sache dient. Nach dem Spiel tritt der Schauspieler aus der Rolle heraus und auch aus der Beziehung. Er wird wieder er selbst.

Genau das suchen wir mit dem Sozialkünstler. Um im Sozialen heilend wirken zu können, brauche ich die Beziehung, brauche ich die Begegnung und brauche ich die Hingabe. Die Kunst gibt mir die Form! Gibt mir den Schutzraum, in dem ich mich sowohl hingeben als auch halten kann.

Wie ich schon sagte, aus unserer Sicht eine Lösung für alle Berufe, zumindest im Sozialen. Wenn ich meinen Beruf nicht nur als fachliche Kompetenz sehe, sondern ihn sozusagen auf die Bühne bringen will, sozusagen als Kunstwerk, dann brauche ich die Haltung eines Schauspielers dazu. Ich muss den anderen im Verhältnis zu mir in Szene setzen und mit ihm wesensmäßig Kontakt aufnehmen. Am Abend bin ich wieder ich selbst, weil ich aus der Rolle meines Berufes heraustreten kann.

Wir sehen daher die Zusatzqualifikation zum Sozialkünstler für alle Berufe als persönliches Fundament und die Grundlage, sich in seiner Berufung dauerhaft und sinnerfüllt verwirklichen zu können, ohne sich darin zu verlieren.

Nun suchen wir in der Ausbildung zum Sozialkünstler im ersten Schritt die reine Verwirklichung als tatsächlich eigenes Berufsbild.

Wir suchen die Kompetenz dazwischen. Neben Ergotherapie, psychologischer Begleitung, sozialpädagogischer Betreuung aber auch der Theaterpädagogik und was es sonst noch für fachliche Berufe gibt, suchen wir die menschliche Hingabe als Arbeitsfeld im Schutz der Kunst. Und nicht als Zusatzqualifikation, sondern in der heute startenden Ausbildung als Vollausbildung.

Dazu kombinieren wir eine vertiefte Erkenntnisschule mit den Mitteln der Kunst und des Theaters. Die Qualität ist die Individualität, die es gilt, soweit es geht, zu entfalten und als Kompetenz hineinzugeben.

Immer wieder werden wir gefragt „und was kann man damit anfangen“, „was macht ein Sozialkünstler am Ende“?

Da es dieses Berufsbild nicht gibt, werden wir einen Arbeitsmarkt schaffen müssen! Wir bieten den Auszubildenden eine integrierte Existenzgründung und gleichzeitig eröffnen wir eine Agentur zur Vermittlung von Sozialkünstlern.

Als etabliertes Sozialunternehmen übernehmen und unterstützen wir sie bei der Antragsstellung für Förderungen und rechnen diese gemeinsam mit ihnen ab.

In einem sehr erfolgreichen Feldversuch in Berlin haben wir es getestet. Junge arbeitslose Menschen sind in ein Altenzentrum gegangen und haben mit den Bewohnern ein Stück entwickelt. Alle sind gemeinsam auf die Bühne gegangen. Da spielte eine über Neunzigjährige eine Bienenkönigin und eine Anfang Zwanzigjährige ihre Konkurrenz.

Das gemeinsame künstlerische Arbeiten hob die Distanz auf, ohne dass es aus der Form geriet. Denn alle hatten ein Ziel, die Premiere! Der Effekt war beachtlich. Die Bewohner blühten auf, die arbeitslosen Teilnehmenden wirkten sinnerfüllt. Ihre Teilnahme an dem JobAct®-Projekt hatte nicht nur den Effekt der Selbsterkenntnis, sondern stiftete gleichzeitig einen unmittelbaren sinnvollen Beitrag.

Kein einziger Teilnehmer hätte vorher gesagt, dass er oder sie gerne in einem Altenzentrum z. B. als Altenpfleger arbeiten wollte. Durch diese Arbeit sind Beziehungen zwischen den Bewohnern und den Jugendlichen entstanden, die dazu führten, dass einige dieser Jugendlichen sich als Berufsbild diese Arbeit heute wünschen. Ehemalige Teilnehmende aus dem Projekt versuchen gerade eine Gruppe in Berlin aufzubauen, die die Ausbildung zum Sozialkünstler nach Berlin holt, damit sie in die Lage versetzt werden, in Zukunft als Sozialkünstler tätig zu werden.

Das Altenzentrum war so begeistert von der Zusammenarbeit, dass alle diese Arbeit gerne weiter führen würden. Die Bewohner sind aufgeblüht, die Pfleger sprachen begeistert von der Arbeit und die Heimleitung sucht händeringend nach Finanzierung.

Wie Sie sich sicher vorstellen können, scheitert es aber genau daran! Mit der Ausbildung und der Gründung der Vermittlungsagentur werden wir für dieses Arbeitsfeld Gelder beantragen, und mit jedem erlebten Sozialkünstlereinsatz wird die Akzeptanz dieses neuen Berufsbildes in der Gesellschaft steigen. Irgendwann wird auch dieses Berufsbild selbstverständlich einen Platz in der Gesellschaft und damit in unserem Wertebewusstsein gefunden haben.